Dem Polar-Lobgehudel vieler Zeitschriften will ich hier einen einigermaßen nüchternen Erfahrungsbericht entgegenstellen und über Sachen reden, die sonst gerne ausgespart werden. Um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen – grundsätzlich mag ich die große Funktionalität meiner S720i, nur ist meines Erachtens der Preis für die gebotene Qualität maßlos überzogen. Warum? Ganz einfach:
Das Gummiarmband der Uhr ist ein schlechter Witz, und – ehrlich gesagt – bei einem Listenpreis von über 300 Euro ein Frechheit. Es wirkt billig, lässt sich nur äußerst fummelig schließen und öffnen, und wird wohl bald den Löffel abgeben – diese Erfahrung haben einige befreundete Polar-Uhrenbenutzer (Hallo Jörg!) bereits gemacht. Zum Glück gibt es Ersatz aus stabilem Gewebe mit praktischen Klettverschluss (z.B. bei Karstadt Sport). Damit lässt sich auch die Weite des Armbandes blitzschnell regulieren.
Fahrradhalter: Keine Ahnung, was sich Polar dabei gedacht hat. Auf dieses unförmige Ding lässt sich die Uhr jedenfalls nur unwillig aufspannen. Einfach aufclippen? Fehlanzeige! Für einen festen Halt muss man das Armband mühsam durch Schlitze fummeln und unter dem Lenker fest verschließen. Das macht besonders viel Spaß, wenn am engen Lenker die steifen Brems- und Schaltleitungen den Weg versperren.
Fahrrad-Montage und Uhr
Die klobigen Signalgeber für die Montage am Fahrrad versprühen spätsozialistischen DDR-Charme – und enthalten hauptsächlich Luft. Warum Polar die winzige Elektronik von Trittfrequenz- und Geschwindigkeits-Signalgeber in diese fast streichholzschachtelgroßen, zweiteiligen Gehäuse steckt, ist unverständlich. Wahrscheinlichster Grund: Damit der Polar-Schriftzug noch Platz hat. Das hat konkrete Nachteile: Man bleibt leichter daran hängen (Bruchgefahr!), außerdem sieht es besch…eiden aus. Hinzu kommt, dass das Material für das Gehäuse schlecht gewählt ist: Sprödes Hartplastik hat meines Erachtens nichts an einem exponiert montierten Fahrradprodukt zu suchen. Kein Wunder, dass die Verklebung zwischen beiden Gehäusehälften des Geschwindigkeitsgebers nach einem (EINEM!) Ausritt mit meinem neuen MTB aufgebrochen war. So etwas nervt! Ich warte nur darauf, dass ich mit dem linken Fuß bei der Suche nach der Klickpedale vor den Trittfrequenzgeber latsche – das Ding wird sich sofort verabschieden, darauf gebe ich Brief und Siegel.
Der Brustgurt ist auch nicht das Gelbe vom Ei – allerdings gilt dies auch für andere Pulssysteme. Wenn das Teil nicht verrutschen soll, muss man es unangenehm fest spannen – lässt man den Gurt etwas zu locker, hängt er nach ein paar harten Auftritten beim Laufen schnell in Bauchhöhe. Warum hat eigentlich noch keiner einen Gurt mit dünnen Schulterträgern erfunden?
Nun zur Uhr: Die Seitentasten sind viel zu schwergängig, außerdem fehlt ein haptisches Feedback (sprich: ein spürbares Klicken). Dafür wackelt die rote Taste in der Mitte wie ein Lämmerschwanz. Laut Polar sollen durch die Schwergängigkeit der Seitentasten Fehlbedienungen ausgeschlossen werden – Schwachsinn! Es gibt sicher einen gesunden Mittelweg zwischen „Viel zu leichtgängig“ und „Schraubstock nicht vergessen!“
Die Uhr reagiert nur träge auf Tastenkommandos – insgesamt fühlt sich die Bedienung etwas zäh an.
Das Display ist nicht besonders dolle. Schon bei leichter Sonneneinstrahlung erschweren in bunten Farben schillernde LCD-Schlieren das Ablesen der Informationen.
Funktionen, Bedienung, Preise
Bedienung: Ok, das Teil ist vollgestopft mit unzähligen Funktionen. Aber ich bin mir fast sicher, dass man die Bedienung etwas intuitiver hätte gestalten können. So klicke ich mich regelmäßig durch sämtliche Menüs (und davon gibt es viele), wenn ich etwa den Autostart der Trittfrequenz oder die Höhenmessung an- oder abschalten möchte. Ganz zu schweigen von der Kalibrierung des Höhenmessers.
Nun zu den guten Seiten – die hat die S720i schließlich auch. Die Funktionalität der Uhr ist klasse. Puls, Tritt, Tempo, Höhe, Temperatur – alles zeichnet sie zuverlässig auf (von einigen Aussetzern beim Unterfahren von Hochspannungsleitungen abgesehen). Die Daten lassen sich daheim ruck-zuck kabellos via Infrarot-Schnittstelle aufs Notebook schubsen und in der sehr praktischen und bedienungsfreundlichen Software „Polar Precision Performance“ auswerten.
Fazit: Ich habe die Uhr für 255 Euro (Listenpreis: 340 Euro) und zwei Geber für je rund 30 oder 40 Euro vor etwa einem Jahr gekauft. Würde ich sie noch einmal kaufen? Hm, ich würde zunächst einmal den Markt viel genauer sondieren. Ich bin sicher, es gibt mittlerweile günstigere Alternativen.