Fahrtechnik

Der runde Tritt – Mythos oder Ideal?

Er wurde jahrelang als die erstrebenswerte Technik beim Radfahren gepriesen, der runde Tritt. Dabei zeigen Untersuchungen: Es gibt ihn gar nicht - jedenfalls nicht so, wie wir ihn uns vorstellen


Foto: ©iStock.com/RapidEye

Ich gebe zu: Auch wir haben den runden Tritt beschrieben und Trainingsmethoden zum runden Tritt auf dem Rennrad vorgegeben.

Doch Untersuchung – ältere wie neuere – zeichnen mittlerweile ein anderes, differenzierteres Bild. Es legt nahe, sich vom Begriff „runder Tritt“ zu verabschieden. Warum und was dagegen besser ist, das verraten wir in diesem Artikel …

Was bedeutet eigentlich „runder Tritt“?

Zur Veranschaulichung haben Medien und Sportler oft die Position der Kurbel am Rennrad mit verschiedenen Namen belegt.

Der Kreis, den die Kurbel bei der Bewegung zeichnet (siehe Grafik), wurde eingeteilt in

  • „Schubphase“ im Winkel von 315 bis 45 Grad
  • „Druckphase“ von 45 bis 135 Grad
  • „Zugphase“ (manchmal auch „Gleitphase“) von 135 bis 225 Grad
  • „Hubphase“ (für manche ist das die „Zugphase“) von 225 bis 315 Grad

Grafik runder Tritt

Die Namen dieser Phasen brachten viele Sportler auf die Idee, dass auch die Bewegung des Fußes und der Muskulatur optimal auf diese Phasen abgestimmt sein sollten.

Aber geht das überhaupt? Kann der Radfahrer nach hinten ziehen oder nach vorne schieben beim Kurbeln?

Die Wirklichkeit: Kein Rennradfahrer tritt „rund“

Biomechanische Untersuchungen an acht Rennrad-Profis haben gezeigt: Keiner überträgt die Kräfte, wie es die Phaseneinteilung des runden Tritts impliziert. Es gibt kaum jemanden, der zieht und kaum jemanden, der schiebt. Und schon gar nicht gibt es eine gleichmäßige Kraftübertragung auf die Kurbel, wie es der Begriff vom runden Tritt vermuten lässt.

Denn: Der beste Wirkungsgrad der eingesetzten Kraft ergibt sich immer nur dann, wenn die Kraft im 90 Grad Winkel zur Kurbel wirkt – tangential zum Kurbelkreis.

Also müsste der Radfahrer bei 0 Grad mit aller Kraft nach vorne „schieben“ und bei 180 Grad nach hinten „ziehen“. In der Realität kaum möglich. Wir Radfahrer sitzen ja im Sattel und können nicht mit der Kurbel „mit wandern“.

Nur an zwei Stellen könnte (!) man nun aufgrund der Sitzposition erwarten, dass die Kraft optimal wirkt: Bei 90 Grad und bei 270 Grad.

Bei der Betrachtung jeweils eines Beines haben die Wissenschaftler dann festgestellt: Die meiste Kraft bringen die Probanden auf, wenn sie mit dem Bein nach unten treten. Also beginnend oben bei 0 Grad bis hinunter zu 180 Grad, die Spitze liegt erwartungsgemäß zirka bei 90 Grad – dann wenn die Kraft eben auch „am besten“ wirken kann – tangential zum Kurbelkreis. Die Phase zwischen 180 und 360 Grad dagegen haben die Radfahrer bei dem jeweils einzelnen Bein nicht aktiv am Pedal gezogen – nur einer von acht machte hier eine Ausnahme.

Stattdessen ruhte bei den meisten Fahrern das Bein in der Zug-/Hubphase und überließ dem gegenüberliegenden Bein die Arbeit.

Damit gab es schon Rufe danach, den Zug nach oben zu vernachlässigen und sich Gleit- und Schubphase zu kümmern. Doch eine neuere Studie („Muscle coordination while Pulling up during Cycling“, G. Mornieux, A. Gollhofer, B. Stapelfeldt, Juli 2010) zeigt:

Richtig angewandt und trainiert, kann eine betonte Zugphase den Wirkungsgrad beim Treten erhöhen.

Zwar kann der Radfahrer dabei nicht annähernd so viel Kraft auf die Kurbel ausüben, wie beim Drücken, doch er kann beim Ziehen das gegenüberliegende Bein unterstützen, indem er es wenigstens nicht mit seinem Gewicht – das entgegengesetzt wirkt – belastet. Und sogar in einigen Phasen noch zusätzlich Kraft effizient ins System geben.

Also jetzt doch eine Hubphase? Und was ist mit Schub und Zugphase?

Wir wollen es nun etwas genauer wissen und unterhalten uns mit Andreas Bruch, Leiter des Radlabors München. Das Radlabor beschäftigt sich u.a. mit Biomechanik im Radsport, Geschäftsführer Dr. Björn Stapelfeldt hat ein Pedalkraft-Messsystem entwickelt und diverse wissenschaftliche Studien zu biomechanischen Fragestellung im Radsport durchgeführt.

Worauf kommt es an beim Treten?

Triathlon-Tipps.de: „Andreas, durch die spannenden Studien habe ich schon einiges Erfahren. Aber was bedeutet das für uns in der Praxis? Worauf kommt es Kurbeln auf dem Rennrad für uns Triathleten nun an?“

Andreas Bruch, Radlabor: „Der sogenannte ‚Runde Tritt‘ ist regelmäßig Thema bei Sport-Journalisten, Trainern und unter Radsportlern selbst. So einfach wie es in der Regel dargestellt wird, ist das Thema aber leider nicht. Natürlich wäre es – rein mechanisch gesehen – optimal, wenn ein Radsportler alle Kraft am Pedal zu 100 Prozent vortriebswirksam nutzen könnte. Das wäre dann ein – theoretisch – völlig runder Tritt mit optimalem Wirkungsgrad. Zum einen zeigen diverse Studien jedoch, dass ein solcher runder Tritt in der Praxis nie gemessen wird. Selbst wenn Sportler in der Lage sind, relativ ‚rund‘ zu treten bleibt immer noch die Frage, ob eine solche Technik unterm Strich wirklich optimal ist. Untersucht man parallel zu den Pedalkräften mittels EMG auch die Muskelaktivität zeigt sich, dass Sportler mit der Technikanweisung ‚möglichst rund treten‘ zwar einen höheren mechanischen Wirkungsgrad erzielen können, dafür aber u.U. mehr Muskel-Aktivität nötig ist – bei gleichem Leistungs-Output. Einfach gesagt: Der Sportler tritt zwar ‚runder‘, braucht dafür aber mehr Energie.“

Triathlon-Tipps.de: „Wenn Du Dir die vier Phasen ansiehst, sollte man dann überhaupt lernen nach hinten weg ziehen oder nach vorne schieben? Oder worauf sollte man am meisten Wert legen?“

Andreas Bruch, Radlabor: „Grundsätzlich würde ich nicht unbedingt postulieren: ‚Je runder der Tritt, desto besser‘. Wie gesagt, eine solche Technikanweisung kann auch mit höherem Energiebedarf einhergehen. Was wir im Laborbetrieb öfter hören ist das Feedback von sehr guten Radsportlern, dass sie im Rennen von einer variablen Tritttechnik profitieren. Wenn z.B. ein Fahrer am Berg merkt, dass seine Beinstrecker – typischerweise die Oberschenkel-Vorderseite – erschöpfen und dann in der Lage ist, seine Tritttechnik so umzustellen, dass er ‚mehr zieht und weniger drückt‘. So verschiebt er quasi die muskuläre Belastung weg von der ermüdeten Oberschenkel-Vorderseite hin zu den Beinbeugern auf der Rückseite und hat dadurch eeventuell im Grenzbereich Vorteile.“

Triathlon-Tipps.de: „Welchen Tipp für mehr Tempo kannst Du unseren Lesern noch mit auf den Weg geben?“

Andreas Bruch, Radlabor: „Vor dem oben gerade angesprochenen Hintergrund kann es durchaus Sinn machen, eine möglichst variable Tritttechnik zu trainieren. Geeignet dafür sind die bekannten Übungen wie z.B. Einbeinig-Fahren, variable Trittfrequenzen trainieren, und auch bewusst versuchen möglichst ‚rund‘ zu treten. Allzu große Leistungssprünge sollte man allerdings nicht erwarten – konditionelle Faktoren sind im Radsport in jedem Fall zu einem sehr hohen Prozentsatz leistungsbestimmend.“

Triathlon-Tipps.de: „Herzlichen Dank!“

2 Antworten zu “Der runde Tritt – Mythos oder Ideal?”

  1. herbert

    Der radfahrer benötigt keine clips um die pedale bei 270 grad mit 2 Kg beingewicht zu entlasten. Wird die pedale bei 270 grad mit 2 kg beingewicht entlastet erhält der vortrieb ein dremoment von 0,3 kg per meter.

  2. Gunnar Sturm

    Auf meinem ATB fahre ich recht schwere MTB Schuhe. Ich spüre wie sehr meine Bauchmuskeln erschöpfen. Ist das ein Beleg für eine ausgeprägte Hubphase?

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