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Markus Kling betreibt professionelle Bewegungsanalyse, leitet eine Reha und ist ehemaliger Fußballer. Ich kenne ihn als Kollegen aus der Band und habe neulich für ihn eine Imagevideo gedreht.
Bei einem kleinen Schwatz danach kamen wir auf das Thema Dehnen zu sprechen. Und als ich meinte, dass ja wohl immer noch kein endgültiger Beweis für den Nutzen des Dehnens gefunden worden sei, reagierte er verwundert: Das sei doch längst abgeklärt.
Da habe ich wohl was nicht mitgekriegt. Also frage ich noch mal bei ihm nach.
Triathlon-Tipps.de: Markus, klipp und klar: Ist Dehnen im Ausdauersport nützlich? Ja oder Nein?
Markus Kling: Definitiv ja.
Triathlon-Tipps.de: Das ist ja eine recht eindeutige Aussage. Was macht Dich so sicher?
Markus Kling: Objektiv bewirkt Dehnen eine verbesserte Beweglichkeit der Bindegewebsschichten, somit einen geringeren Bewegungswiderstand. Daraus kann man ableiten, dass eine bessere Beweglichkeit der Bindegewebsschichten folglich zu einer verbesserten Energieeffizienz führen. (vgl. Jan Jaap de Moree, Frans van den Berg).
Diesen Effekt stellt man im Grunde regelmäßig beim Loslaufen fest: Zu Beginn des Lauftrainings fühlt man sich vielleicht noch ein wenig steif und der Bewegungsablauf bereitet mehr Mühe. In aufgewärmten Zustand fühlt sich der Bewegungsablauf schon viel freier und leichter an. Auch das Aufwärmen bewirkt eine verbesserte Beweglichkeit des Bindegewebes. Der Effekt ist somit vergleichbar.
Triathlon-Tipps.de: Was glaubst Du, warum hat sich das dann noch nicht durchgesetzt? Denn gerade von manchen Physiotherapeuten hört man, dass das schwer zu beweisen sei.
Markus Kling: Dehnen ist langweilig und der Mehrwert ist für viele nicht unmittelbar greifbar. Ausdauersportler investieren lieber jede Minute für das Training in der entsprechenden Disziplin. Beweglichkeits- und Stabilisationstraining sind dabei zumeist ungeliebte Ergänzungseinheiten im Trainingsplan.
Zudem wird das Thema Dehnen in Fachzeitschriften immer wieder kontrovers diskutiert, was zu Recht Unsicherheit beim Leser schafft. Die Studienlage zeigt, dass es schwer ist, einen klaren Nachweis für den Nutzen von Dehnen im Hinblick auf Verletzungsprophylaxe zu liefern. Wie soll man auch individuell darstellen, ob sich ein Triathlet die Achillessehnenentzündung zugezogen hätte, wenn das Dehnen fester Bestandteil seines Training gewesen wäre?
In der Praxis sehen wir aber, dass wir auf viele Problematiken, die sehr wahrscheinlich auf Spannungsdysbalancen im Bindegewebe zurückzuführen sind, mit konsequentem Dehnen positiven Einfluss nehmen können.
Ein großes Missverständnis liegt wohl auch in der Annahme, wir würden Muskeln Dehnen. Beim Dehnen ist das Bindegewebe im Fokus, das die Muskulatur umgibt. Betrachtet man die Bindegewebsphysiologie, so sind die Effekte des Dehnens auf Bindegewebe inzwischen sehr wohl bekannt. Hieraus kann man sich wiederum den positiven Nutzen des Dehnens ableiten.
Triathlon-Tipps.de: Also. Dehnen ist sinnvoll. Nun hört man immer wieder, dass Dehnen VOR der Leistung nichts bringt, sondern nur danach. Ist das auch ein Mythos, oder stimmt das? Und wenn ja, warum?
Markus Kling: Hier ist eine Pauschalaussage nicht hilfreich. Man muss sich immer überlegen, was die Zielsetzung des Dehnens ist. Wenn man seinen Bewegungsapparat auf die bevorstehende sportliche Herausforderung in Bezug auf das Bewegungsausmaß vorbereiten möchte, so ist ein kurzes eventuelles dynamisches Dehnen vor der Leistung sinnvoll. Ein zu langes Dehnen vor der Leistung würde die Gewebevorspannung reduzieren, was wiederum kontraproduktiv wäre. Will man seine Beweglichkeit verbessern und die Gewebespannung reduzieren, so sind gehaltene Dehnungen von mindestens 60 Sekunden nach der Leistung sinnvoll.
Vielleicht als Faustregeln: Vor einem Intervalltraining oder einem Wettkampf kann man sich mit einem dynamischen Dehnen mehr Beweglichkeit verschaffen. Dynamisch bedeutet, dass ich nicht in eine langanhaltende Dehnung gehe, sondern eine kurze Streckung durchführe, die ich bald wieder entspanne. Das gibt dem Athleten die nötige Beweglichkeit für die anschließende Belastung.
Bei einer normal extensiven Belastung – sprich einem Dauerlauf oder einer ruhigen Radausfahrt – kann man danach ruhig ein Programm einlegen mit langanhaltenden Dehnübungen. Auch hier wieder eine Ausnahme: War die Ausdauerbelastung sehr stark – zum Beispiel der berühmte lange Lauf ab zwei Stunden – sollte man danach kein intensives Dehnen betreiben.
Triathlon-Tipps.de: Kann man überhaupt etwas falsch machen? Gibt es typische Fehler beim Dehnen?
Markus Kling: Typisch Fehler ergeben sich aus der Wahl der falschen Methode für die falsche Zielsetzung.
Um Dehnen sinnvoll einzusetzen, sollte man sich ein wenig mit den verschiedenen Methoden beschäftigen. Grundsätzlich passieren Fehler zumeist in der Ausführung, was zwar selten zu einem „Schaden“ am Bewegungsapparat führt, aber dann vielleicht auch nicht den gewünschten Effekt erzielt. Verletzungsgefahr besteht bei dynamischen Dehnungen in unaufgewärmten Zustand im Zuge übermäßiger Gewebebeanspruchung. Zu Verletzungen des Gewebes kann es aber auch bei gehaltenen Dehnungen kommen, wenn diese mit übermäßiger Intensität durchgeführt werden.
Zudem muss man noch etwas wissen: Es gibt eine muskuläre Schutzspannung. Geht man zu schnell in eine Dehnung, hält der Muskel reflexartig dagegen, um so etwaige Verletzungen zu vermeiden. Diesen Reflex sollte man eben nicht auslösen, er ist für die Bewegung und das Dehnen natürlich kontraproduktiv. Also maßvoll schnell in die Dehnung hinein gehen und auch wieder herauskommen.
Triathlon-Tipps.de: Abschließend, gib uns doch noch einen Tipp: Welche drei Dehnübungen sind für den Triathleten aus Deiner Sicht am sinnvollsten?
Markus Kling: Die Dehnung der Großen Muskelgruppen der unteren Extremität, also Oberschenkel Vorderseite (M. quadrizeps), Oberschenkel Rückseite (Ischiocrurale Muskulatur) und die Wade (M. triceps surae).