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Ob in Roth, Frankfurt oder auf Hawaii – wenn sich die besten Athleten der Welt messen, sieht der Zuschauer in der zweiten Disziplin viele elektronische Schaltsysteme. Schon 2011 schwärmte der Ironman-Weltmeister von 2014, Sebastian Kienle: „Ich finde das System unschlagbar!“ Er lobte vor allem die Tatsache, dass sich die Schaltknöpfe nicht nur an den Enden der Auflieger montieren lassen, sondern auch am Basislenker.
Elektronische vs. mechanische Schaltung im Triathlon
Die Möglichkeit, aus verschiedenen Lenkerpositionen den Gang zu wechseln ist bis heute eines der Hauptargumente für die Akku-betriebene Variante in der Debatte elektronische versus mechanische Schaltung im Triathlon. Aber bei weitem nicht das einzige. Auch der Kraftaufwand, dessen es bedarf, um den Gangwechsel einzuleiten, ist quasi Null. Das mag vernachlässigbar klingen. Doch wenn der Körper nach vielen Kilometern im Sattel ohnehin schon mit den Reserven haushalten muss, kann es eine echte Erleichterung sein, wenn man nicht noch einen Hebel nach oben ziehen oder nach unten drücken muss.
Unschlagbare Schaltpräzision beim elektronischen System
Die Schaltpräzision elektronischer Gruppen wie der Di2 von Shimano, der eTap von Sram, der EPS von Campagnolo oder der K Force WE von FSA ist zudem deutlich höher als bei ihren mechanischen Gegenstücken. Kienle bezeichnete diese Eigenschaft einmal als „Fire and Forget“: der Fahrer schaltet und braucht sich keine Gedanken zu machen, ob er nachjustieren muss, weil die Kette schleift. Das erledigt der Schaltmotor. Während bei mechanischen Bremsen der Gangwechsel über Schaltzüge geschieht, läuft das Schalt-Signal bei elektronischen Varianten über Kabel, beziehungsweise wird bei Sram inzwischen sogar kabellos übertragen. So bleibt die Schaltpräzision über Jahre erhalten während durch die Reibung im Rahmen – die meisten Triathlonbikes haben innen verlegte Züge, die in (engen) Bögen gelegt werden müssen – die Genauigkeit nach zwei, drei Jahren nachlässt, wenn man nicht penibel pflegt und wartet.
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Ziehen oder führen lassen?
Um das zu verstehen, muss man die Funktionsweise der beiden Schaltungs-Varianten kennen. Der Gangwechsel bei mechanischen Schaltungen erfolgt über dünne Drähte, sogenannte Bowdenzüge, die bei älteren Fahrradmodellen außen am Rahmen verlaufen, bei neueren Rahmen im Inneren verlegt werden. Diese Züge verbinden die Schalthebel mit dem Umwerfer, der die Kette vorn auf ein jeweils anderes Kettenblatt hebt, und dem Schaltwerk, das die Kette hinten von Ritzel zu Ritzel wandern lässt. Damit das funktioniert, müssen die jeweiligen Züge auf eine gewisse Spannung gebracht beziehungsweise selbige reduziert werden. Elektronische Schaltgruppen werden über elektronische Knöpfe oder Hebel gesteuert, die via Kabel oder kabellos mit einem Akku und einem kleinen Elektromotor verbunden sind. Der Motor treibt Schaltwerk und Umwerfer an. Bowdenzüge sind überflüssig, zudem kalibriert sich das System selbst. Es gibt keinen Zug auf den Kabeln und der Motor lässt die Kette immer bei gleicher Geschwindigkeit über die gleiche Distanz wandern.
„Einfach machen lassen“
„Man kann bei elektronischen Systemen sogar Schaltkombinationen vorprogrammieren und zum Beispiel eingeben, bei welchem Kettenlauf automatisch umgeschaltet werden soll, um selbigen zu optimieren“, erklärt Radexperte Michael Wagner, der in seiner Werkstatt auch Kienles Rad auf Wettkampf-Oberliga trimmt. So vermeidet man übermäßigen Verschleiß ebenso wie das Herunterfallen der Kette. „Weil kein Schaltdruck entsteht, ist außerdem auch der Gangwechsel im Anstieg kein Problem mehr“, so Wagner.
Selbst Kinderkrankheiten bei der Montage seien mittlerweile längst behoben, sagt der Fachmann: „Als 2009 die ersten elektronischen Di2-Schaltungen auf den Markt kamen, waren die Rahmen noch nicht darauf ausgelegt. Da konnte es schon einmal passieren, dass beim Transport ein Kabel gebrochen ist und bei der Montage musste man anfangs auch ganz schön basteln. Aber das ist natürlich auch immer eine Frage des Anspruchs.“ Und der war im Falle des „Überbikers“ Kienle entsprechend hoch.
Simple Montage – auch beim elektronischen System
Inzwischen, so Wagner, ist zumindest die Installation und Montage bei elektronischen System einfacher als die von mechanischen Systemen, die kabellose Sram-Version sei quasi ein „Plug and Play“, für das lediglich grundlegende Radmechaniker-Erfahrung braucht. „Die Gewöhnung ans Schalten mit elektronischen Schaltkomponenten geht sehr schnell und auch wenn man bei Wartung und Pflege am Anfang schon einmal auf dem Schlauch stehen kann, klären sich die meisten Fragen mit einem Blick in die Bedienungsanleitung oder wenn man sich ein YouTube-Tutorial anschaut“, berichtet Triathlon-Profi und Ironman-70.3-Europameister 2016, Andreas Dreitz, der bei der Challenge Bahrain den Mitteldistanz-Radrekord aufgestellt hat.
Schwierigkeit: Wartung und Pflege
Genau bei der Wartung und Pflege liegt aber auch ein Problem der elektronischen Schaltungen. Hakt die mechanische Schaltung, zwingt dies den Fahrer aktiv zu werden, die Kette zu ölen, die Züge zu justieren oder auszutauschen. Ein elektronisches System läuft und läuft und läuft … solange, bis Kette und/oder Ritzel weit über dem Austauschzeitpunkt sind. Eine sauber laufende Schaltung wird viel zu oft als Zeichen gewertet, dass keine Wartung notwendig ist.
Die Wartung ist bei der mechanischen Schaltung hingegen einfacher als beim elektronischen Pendant. „Der Fachhandel hatte Jahrzehnte Zeit, sich mit der mechanischen Schaltung zu beschäftigen. Entsprechend groß ist das Know-how der Händler und Fahrradmechaniker. Es gibt ein sehr gutes Servicenetz. Das ist bei der elektronischen noch nicht so“, sagt Michael Wagner. Außerdem bekommt man nicht überall Ersatzteile für elektronische Systeme. Vor allem auf Wettkampf- und Trainingslagerreisen kann das zum echten Problem werden, denn, so Wagner: „Wenn etwas kaputt geht, hat man einen Totalausfall des Systems.“
Hohe Kosten bei Anschaffung und Wartung
Heutzutage ist eher ein Kabelbruch, zum Beispiel durch unsachgemäßen Transport, ein Problem. Denn während bei einem Defekt wie einem verbogenen Schaltwerk bei der mechanischen Schaltung meist wenigstens noch ein paar Gänge nutzbar sind, bleibt die elektronische Variante auf genau einem Gang. Oft auch für den Geldbeutel, denn Ersatzteile und Reparatur von elektronischen Systemen sind teuer – genau wie die Anschaffung einer solchen Gruppe generell mehr kostet als eine mechanische. Wer aufs Budget schauen muss oder möchte, fährt also mit einer klassischen mechanischen Schaltgruppe besser – und leichter, denn die Elektronik bringt ein gewisses Mehrgewicht mit sich.
Das empfiehlt der Experte:
Die aktuelle Tendenz im Bereich der hochwertigen Wettkampf- und Rennräder geht klar in Richtung elektronischer Schaltung. Geschätzt 30 Prozent der Kompletträder in diesem Bereich „haben bereits einen Motor“ – mit klarem Kurs auf 50 Prozent. Das zeigt, dass elektronische Systeme nicht nur etwas für Profi-Triathleten sind. „Besonders Athleten mit kleinen Händen und kurzen Fingern erleichtert ein elektronisches System das Schalten sehr, weil es keine langen Schaltwege gibt“, erklärt Fahrradexperte Wagner. Er ist aber überzeugt, dass auch mechanische Systeme nach wie vor ihre Berechtigung haben. „Vor allem, wenn man viel reist, nicht sehr zimperlich mit seinem Material umgeht oder ein beschränktes Budget hat, ist eine mechanische Schaltung die bessere Wahl“, empfiehlt er. Oder wie Profi Andreas Dreitz es formuliert: „Ich glaube, die Diskussion mechanisch oder elektronisch hat wenig mit dem Leistungslevel zu tun – es ist eher eine Frage des Komforts.“ Beim Auto existieren schließlich auch immer noch manuelle und Automatikschaltung friedlich nebeneinander.
Elektronisch oder mechanisch?
Die Vorteile der beiden Systeme im Überblick:
Vorteile von elektronischen Schaltungen
- oft Schalten aus verschiedenen Griffpositionen möglich
- präziser Gangwechsel, kein Nachjustieren
- kein Kraftaufwand
- einfache Montage
- wartungsarm
Vorteile von mechanischen Schaltungen
- günstiger
- leichter
- Ersatzteile überall zu bekommen
- gutes Servicenetzwerk & Know-how im Fachhandel